Von der Reichweite zur Reichtiefe
Zuletzt aktualisiert am
August 13, 2024
veröffentlicht:
October 17, 2022
Wie Bedeutung Content seinen Inhalt verleiht und was KI dazu beiträgt
ist der Titel eines Roundtable-Podcasts rund um die Studie „Mensch oder Maschine – wer schreibt die besseren Inhalte“ mit Studienautor Prof. Peter Gentsch, Content Marketing-Guru Mirko Lange und Content Intelligence-Experte Roland Fiege von rellify™ vom 17.10.22.
Hier findest Du das Transkript des einstündigen Gesprächs: Teil 1, Teil 2, Teil 3
Teil 1: Neuer Wein in alten Schläuchen: Was ist eigentlich der Inhalt von Content?
Roland Fiege: Willkommen zurück zum AI in Search Podcast mit interessanten Themen rund um KI und Content Marketing. Ich begrüße das bei mir heute im Podcast Professor Dr. Peter Gentsch und Mirko Lange, CEO, Gründer von Scompler, einer Kommunikationsmanagement-Plattform, mit der man hervorragend Content im und für das Internet managen kann. Bitte stellt euch in ein, zwei Sätzen kurz vor!
Peter Gentsch: Sehr gerne. Ich führe seit über 20 Jahren mit viel Freude ein Doppelleben zwischen Theorie und Praxis, zwischen meinem Lehrstuhl für Digitale Transformation und Internationales Business und im realen Leben für Unternehmen im Bereich Daten, Analytik, KI, für die ich versuche, die Brücke zu schlagen von der Theorie in die Praxis.
Das ist manchmal gar nicht so einfach, aber da werden wir heute sicherlich noch mehr drüber reden.
Roland Fiege: Und dann haben wir Mirko Lange von Scompler dabei. Erzähl doch mal in ein, zwei Sätzen, was du machst mit Scompler.
Mirko Lange: Also ich komme eigentlich aus der strategischen Kommunikationsberatung. Und in dem Zusammenhang habe ich immer darunter gelitten, dass wir zwar natürlich die tollsten Content- und Kommunikationsstrategien erstellt haben, 500 Seiten-Powerpoints, aber dann irgendwie festgestellt haben, dass die Unternehmen nicht in der Lage sind, dies in die Praxis umzusetzen. Damals entstand mein Leitspruch „Es reicht nicht, keine Content Strategie zu haben. Man muss auch unfähig sein, sie umzusetzen.“
So haben wir dann in einem großen Projekt mit der Deutschen Bahn begonnen, eine kleine Software zu bauen. Und damit haben wir ins Schwarze getroffen. Inzwischen haben wir große Investoren gefunden, haben mehr als 300 Kunden, davon sechs DAX Unternehmen. Unsere größten Kunden arbeiten mit 500 Leuten weltweit bei uns auf der Plattform und koordinieren dort das gesamte Themenmanagement und eigentlich den kompletten Prozess von der Content Strategie über die Themenfindung, Themenplanung, Produktionsplanung, und Produktion bis hin zur Analyse.
Und weil wir natürlich immer beim On-Boarding unserer Kunden auf der Plattform dabei sind, haben wir sehr, sehr viel Einblick gehabt in ganz viele unterschiedliche Unternehmen und wie man Content Strategien komplett abbildet und dann dafür sorgt, diese Strategien im Tagesgeschäft zu operationalisieren.
Roland Fiege: Das heißt, ihr habt tagtäglich mit Content-Kuratoren, mit Autoren zu tun. Also mit den Menschen, die verantwortlich sind für Themen und die Texte, die dann auf den Unternehmenswebseiten erscheinen. Deswegen haben wir dich heute eingeladen, weil wir über Peters Studie „Mensch versus Maschine – wer schreibt den besseren Content?“ sprechen wollen. Denn Maschinen sind heute schon in der Lage, sinnhafte Texte zu schreiben, was vermutlich einen Riesenumbruch auch bei deinen Kunden mit sich bringen wird. Oder zumindest die Fragen aufwirft, kann man dadurch Kosten sparen, kann man dadurch vielleicht den besseren Content schreiben? Content, der besser von Menschen und auch besser von Suchmaschinen verstanden und bewertet wird? All das wollen wir heute diskutieren.
Peter – vielleicht stellst du kurz deine Studie vor, worum es da genau ging und was die Kernaussagen der Studie sind?
Peter Gentsch: Ja, sehr gerne. Zunächst muss man sagen, dass die Mensch-Maschine-Diskussion nicht sonderlich neu ist. Es gibt aber eine neue Generation der KI, sogenannte Transformatoren-Modelle oder Foundation-Modelle, die zumindest den Anspruch haben, die KI zu revolutionieren.
Klassischen Robo-Journalismus, im Sinne von ich kann irgendwie einen Wetterbericht machen oder einen Sportbericht über ein Fußballspiel, gibt es ja schon lange. Oder Texte zur Aktienkursentwicklung. Das ist heute fast schon Commodity.
Aber die Frage war, kann man auch kreative Texte mit KI schreiben? Kann man Blogbeiträge schreiben? Kann man Landingpages schreiben? Kann man Social Media-Beiträge schreiben? Daher war unser Ansatz, die neue Generation von Algorithmen zu nutzen, um einmal zu sehen, wie einfach es ist, Content zu erstellen. Und, noch wichtiger, wie ist die Qualität dieser Inhalte? Wie wird eigentlich so ein Content wahrgenommen von der Audience?
Zudem sollte die Untersuchung auch wissenschaftlich sein. Es gibt einen KPI, den sogenannten Flesh Index, der die Lesbarkeit von Content misst. Also haben wir uns verschiedene Marken angeguckt, zum Beispiel L’Oreal, Starbucks, BMW, Telekom und haben uns deren originalen Content angesehen. Also Landingpages, Blogbeiträge, Social Media-Beiträge. Dann haben wir die KI gebeten, entsprechenden Content zu erstellen.
Dazu gibt es zwei Ansätze. Einmal kann ich eine KI nehmen für die Analyse, was spannende Themen z.B. im Bereich Kaffee, Nachhaltigkeit, Starbucks, sind. Zum anderen kann ich dem Tool sehr genau ansagen, um was es gehen soll. Dieses Füttern des Tools ist das Spannende, man nennt es „Prompting“. Früher musste man dazu komplexe KI-Algorithmen programmieren. Heute ist das sehr einfach geworden. Also haben wir das gemacht, und es kamen spannende Ergebnisse heraus. Diese haben wir 100 Konsumenten vorgelegt (ohne zu sagen, dass es hier um einen KI-Test geht), und ihnen gesagt, wir hätten hier von Starbucks zwei Beiträge: Welcher gefällt dir besser?
Über alle Branchen hinweg wurden die KI-generierten Texte zumindest als pari oder als besser empfunden! Und was mich so verwundert hat, es kamen Aussagen wie „der Text wirkt persönlicher“. Das ist ja geradezu kontraintuitiv, dass eine KI „persönlicher“ textet. Und dass der Flesh-Index, die Lesbarkeit des Contents in allen Bereichen höher war als beim Content, der von der Agentur, von dem Unternehmen, von dem Redakteur auch wem auch immer erstellt wurde. Kurz gesagt, die KI-Texte lasen sich sehr schön und wurden als personalisiert wahrgenommen. Aber dann habe ich die einem Kollegen von BMW gezeigt, und er meinte „ja, das liest sich ja ganz schön, aber es stimmt ja gar nicht! Das ist ja gar nicht das aktuelle Modell!“ Und das kommt häufiger vor, dass die KI Content generiert, der sehr leicht zu lesen ist, aber teilweise einfach fehlerhaft ist. Das ist natürlich ein Problem, was wir in der KI in vielen Bereichen haben: Die KI kann sehr einfach und sehr niederschwellig genutzt werden. Aber man muss natürlich höllisch aufpassen – wer sichert eigentlich die Qualität des Contents?
Spannend war auf jeden Fall, dass es hier nicht nur um standardisierte Berichte ging, sondern darum, wie sich eine Marke empathisch in sozialen Medien darstellt. Da würde man ja nicht vermuten, dass eine KI dazu in der Lage ist!
Roland Fiege: Mirko, wie siehst du das denn? Was ist denn im Content Marketing momentan der Status Quo? Wir reden hier über Texte, Langformtexte, kürzere Texte, aber auch Social Media-Texte. Die Medienlandschaft ist sehr, sehr fragmentiert. Lesen Menschen überhaupt noch längere Artikel oder werden nur Überschriften gelesen? Wo geht der Trend momentan hin? Kurzform oder Langform-Content? Wie siehst du das?
Mirko Lange: Also meine Standardfrage an meine Studenten ist immer: „Was ist eigentlich der Inhalt von Content?“ Dann schließe ich als direkte Fortführung die Frage an, ob ein Whitepaper oder ein Blogpost oder ein Langformat Content ist. Und da sagen die Studenten „Ja klar, ein Whitepaper ist Content!“ und sage „Nein, was in dem White Paper drin steht, ist der Content!“
Und das meine ich mit „Was ist der Inhalt von Content, das wir heute unterscheiden?“ Nehmen wir zum Vergleich eine Weinflasche, wo wir die Form und die Farbe und auch das Etikett gestalten und dann dafür sorgen, dass diese Weinflasche am Point of Sale im Regal steht. Dieser Point of Sale ist der Kanal oder der Touchpoint. Da entscheidet der User, ob er jetzt Flasche A oder Flasche B kauft. In einem großen Hit-Markt oder in der Metro steht die Flasche in einem 20 Meter langen Regal – und die meisten, die davor stehen, gucken vielleicht nach dem Preis und nach der Optik und vielleicht noch nach der Rebe. Aber das Angebot ist einfach tierisch groß und es fehlt die Orientierung.
Das gilt aber immer nur beim ersten Verkauf. Wir als Marketingleute, auch im Product Marketing, wollen jedoch, dass die Leute unsere Produkte noch mal kaufen. Und jetzt kommt die entscheidende Frage: „Wovon hängt das denn ab?“ Vom Inhalt, also vom Wein!
Wir müssen also überlegen, ob wir Weinflaschen-Distributoren sind oder Winzer. Natürlich muss der Wein in eine Flasche abgefüllt werden und könnte ohne Flasche und Etikett gar nicht verkauft werden. Aber hier haben wir schon mal eine grundsätzliche Unterscheidung auf deine Frage, die man meines Erachtens so gar nicht beantworten kann, wie du sie gestellt hast. Wir haben eine unglaubliche Fülle an Anwendungsbereichen von Content Marketing. Für mich ist dieser Begriff eigentlich ein Unwort, weil wir sagen: Na ja, es gibt Social Media-Marketing und E-Mail-Marketing und Suchmaschinen-Marketing. Aber wie willst du das denn alles ohne Content machen?
Also können wir Content Marketing nicht als eine weitere Disziplin neben diesen anderen Disziplinen sehen. Offensichtlich ist Content ein zentrales Asset, das in allen Marketing Formen genutzt wird, in der Unternehmenskommunikation, in der internen Kommunikation und so weiter. Das ist, nebenbei gesagt, auch der Denkansatz von Scompler, dass wir Content als zentrales Set definieren, EIN zentrales Content Management machen, total Kanal-unabhängig oder Disziplin-unabhängig. Und erst dann, wenn wir die Story gefunden haben, fragen, wie müssen wir die Story auf unterschiedlichen Kanälen für unterschiedliche Zielgruppen erzählen?
Nehmen wir als Analogie Fast Food. Wenn du mich fragst, wo der Trend bei Messen hingeht, geht er auf der einen Seite Richtung Convenience, aber durchaus auch Richtung Commodity. Also ein Burger ist heute Commodity, aber er geht auch auf der anderen Seite immer mehr in Richtung Premium und gesunde Ernährung. Er splittet sich auf – und diese Analogie ist zu 100 % auch auf Content übertragbar. Und nebenbei gesagt, ist Essen ja auch Content, den man zu sich nimmt, „inhaliert“. Es kommt also darauf an, für seine Zielgruppen, für die Themen, für die Märkte jeweils das Richtige zu machen! Und da haben wir eine riesengroße Bandbreite. Und für einen kleinen Teil dieser Bandbreite ist KI auch super geeignet!
Roland Fiege: Es gibt also unglaublich viele Kanäle und es gibt Content. Der muss erstmal umgeformt und dann verkleinert, verkürzt, vereinfacht oder für andere Medien aufbereitet und veröffentlicht werden. Was sind denn dabei die Hauptschmerzen, die typische Marketingabteilung heutzutage haben, was Content Marketing angeht?
Mirko Lange: Also durchweg durch den gesamten Prozess, an jeder Stelle haben sie Schmerzen und das ist leider auch ein bisschen unser Fehler. Also es fängt schon mal an, dass 60 % nach Umfragen sagen, sie hätten eine Content Strategie. Wie gesagt, ich habe davon sehr viele gesehen und nach meinem Dafürhalten verdienen von diesen 60 % vielleicht 10 % den Namen „Content Strategie“.
Entweder haben sie irgendwas, das viel zu groß ist, sodass es nicht operationalisiert werden kann oder es ist eben viel zu ungenau. Fast keine oder sehr wenige Unternehmen haben überhaupt eine Themen-Architektur, die festlegt, worüber reden wir, worüber reden wir nicht? Viele gehen nur Anlass-getrieben vor, lassen sich also z.B. von einer KI sagen, worüber sollen wir schreiben, und die KI schaut dann beispielweise auf Suchvolumina oder Suchmaschinenrankings. Jetzt aber nicht falsch verstehen – die Daten sind alle hilfreich, aber sie müssen auch mit strategischen Zielsetzungen – wie will ich mich positionieren, wie will ich mich profilieren – in Kontext gesetzt werden.
Wir haben daher eine eigene Methodik entwickelt, um Themen zu scoren. Da sind natürlich auch Eigeninteressen wichtig. Also ein Medium etwa arbeitet ganz anders als eine Unternehmenskommunikation. Das Medium muss nur auf die Interessen der Leser achten.
Wir unterscheiden immer zwischen „Thema“ und „Story“. Thema ist abstrakt, beispielsweise Fußball oder Marketing oder Nachhaltigkeit. Und die Story ist dann der konkrete Anlass. Also wie kann ich trotz Energiekrise nachhaltig heizen? Das nennen wir Story und die muss man für unterschiedliche Zielgruppen anders erzählen. Da gibt es oft ein Problem, das richtig zu zu machen, auch die Zielgruppen richtig zu kennen.
In der Produktion geht es darum, den Text richtig zu erstellen, in unterschiedlichen Varianten, und ihn kanalgerecht aufzubereiten. Wobei das der geringste Schmerz ist: in diesem taktischen, rein operativen Tun bestehen meiner Ansicht nach am wenigsten Sorgen. Da gibt es gut ausgebildete Leute, die wissen, wie sie für TikTok oder für Facebook oder Instagram oder für was auch immer das aufbereiten müssen.
Wenn das dann distrubiert wurde, gibt es in der Auswertung wieder Problemstellungen. „Reach“ und „Engagement“ sind z.B. typische KPIs, die aber aus meiner Sicht lange nicht ausreichen, um Content zu beurteilen.
Ich sage immer, was wir heute als Content bezeichnen, sind in den meisten Fällen einzelne Töne. Wir müssen uns aber die Melodie anschauen, also die Summe aus allen Veröffentlichungen, die die Zielgruppen ja dann auch aus unterschiedlichen Medien aufnehmen. Und Kommunikation ist ja mehr als nur Output. Output bedeutet jetzt meist nur Reichweite oder Engagement. Wir wollen aber Impact, also den nächsten Schritt. Also was bedeutet das? Welche Kommunikationswirkung hat Content überhaupt? Da sehe ich das strategisch oder strukturell größte Problem, dass die meisten Leute bei Output stehenbleiben.
Da sind wir dann auch bei „SnackableContent“ und dem Stichwort „Commodity“. Dass gewisse Arten von Content zwar sehr gut konsumiert werden, aber ähnlich wie eben Taschentücher oder Slip-Einlagen oder Toilettenpapier., das es einfach irgendwann überhaupt keine Rolle mehr spielt, wer der Anbieter ist. Und dann führt sich Content Marketing ad absurdum. Dann habe ich zwar meine Reichweiten und Engagement, aber überhaupt keine Verbindung mehr zur Marke oder überhaupt keine betriebswirtschaftliche oder wertschöpfende Wirkung mehr.
Teil 2: Bedeutung, Sichtbarkeit & Relevanz – Möglichkeiten und Grenzen von KI im Content Marketing
Roland Fiege: Mirko Lange, du hattest eben sehr schön gesagt, dass bei der Aufbereitung bestimmter Themenblöcke für unterschiedliche Medien Technologie offensichtlich nicht so notwendig ist, weil es viele Menschen gibt, die das sehr gut können.
Du sagtest aber auch, dass bei der Themenfindung ein Mehrwert liegen kann. Peter, wie siehst du das? Siehst du eher einen Benefit bei der KI, bei der maschinellen Verkürzung und Aufbereitung von schon fertigen Inhalten oder tatsächlich bei der Themenfindung, beim Themen-Management, also ganz am Anfang der Strategie?
Peter Gentsch: Für mich gibt es ganz klar zwei Phasen. Beim Thema Themenfindung oder Themen-Konstruktion kann eine KI nur supporten im Sinne von Augmented Intelligence. Es wird immer so getan, als ob die KI etwas völlig anderes als der Mensch macht. Nein, eine KI kann rausgehen und weltweit nach bestimmten Trends schauen. Wie Mirko sagte, z.B. nach SEO-Rankings, welche Topics gerade aufkommen, wie sich Kontexte verändern. Aber was eine KI natürlich nicht kann, ist diese Daten zu interpretieren, zu bewerten, in einen Markenzusammenhang zu bringen.
Und natürlich ist es doch einfacher zu sagen, liebe KI, suche mal alle Trends und fasse mir Themen zusammen aus dem weltweiten Internet, und dann sehe ich mir die als Profi an und entwickle daraus eine Content Strategie. Im ersten Schritt, glaube ich, wäre es vermessen zu sagen, den kann man automatisieren. Da geht es mehr um Unterstützung, eine Art Brainstorming, das KI machen kann, indem sie die Weiten des Internets intelligent durchforstet.
Im zweiten Schritt, wenn es darum geht, Content zu produzieren, muss man natürlich unterscheiden: Ist das jetzt ein Essay in einer tollen Zeitung oder ist das ein kleiner Blogbeitrag? Eines muss man klar sagen: Momentan ist die Produktion auf Basis von KI möglich für relativ übersichtlichen Content, was die Länge angeht. Ich muss heute bei meinen Studenten noch keine Masterarbeit, keine Doktorarbeiten, keine Bachelorarbeit erwarten, die sie mit diesen neuen Algorithmen generieren, weil die das Problem haben, Zusammenhänge darzustellen, eine Storyline zu finden.
Aber für einzelne Content-Module, also z.B. einen Blogbeitrag für Starbucks, kann man das sehr effizient einsetzen. Und darum ist, glaube ich, die Diskussion völlig falsch, ob KI Content Marketing und den Redakteur ersetzen kann. Es geht vielmehr darum, zu verstehen: Wie schaffe ich es eigentlich, in den verschiedenen Phasen die Systeme intelligent einzusetzen mit dem, was sie können, und dem, was sie eben nicht können!
Mirko Lange: Hier sollten wir meines Erachtens noch einen Begriff ergänzen, nämlich „Skalierung“. Also immer, wenn es darum geht Content zu skalieren, würde ich empfehlen, KI einzusetzen, also Content am Fließband zu produzieren. Wie die Fließband-Analogie ja deutlich macht, habe ich dann eine Maschine, die das produziert. Aber das müssen dann Standard-Produkte sein oder standardisierbare Produkte. Denn KI sucht ja nach Mustern.
Also für Gebrauchstexte, entweder für Suchmaschinen oder um einfach sehr viele Plattformen zu bestücken, ist KI sehr gut geeignet. Aber um sich zu profilieren, um etwas Besonderes zu machen, ist KI kaum geeignet. Also diesen Gedanken würde ich auch gerne weiterführen: Wenn alle die gleiche KI benutzen, dann wird Content doch totale Commodity – dann ist doch scheißegal, wo ich ihn lese und von wem!
Peter Gentsch: Vielleicht zwei Punkte zu Skalierbarkeit würde ich unterstreichen: Das war ja auch schon immer so beim Aktienkurs oder Wetterbericht. Da habe ich die Skalierbarkeit, auch wenn das sicherlich nicht so spannender Content ist. Oder beim Thema Produktbeschreibung für E-Commerce Shops oder Produkt-Bewertungen. Da habe ich Skalierung, da habe ich Standardisierung. Das würde ich komplett unterstreichen.
Aber nochmal zum Thema Commodity: In der Tat ist ja die Frage, wenn alle die gleiche KI nutzen, diese tollen Modelle, die es da draußen gibt, wie differenziere ich mich dann noch? Ein Differenzierungsfaktor ist natürlich der Mensch, ganz klar. Aber ich kann auch eine KI durchaus spezifisch füttern mit meinem Domänenwissen, mit meiner Brand-DNA. Und das ist die Königsdisziplin, nicht nur eine Out-of-the-box-KI zu nehmen, mit der alle arbeiten, sondern die eben entsprechend anzureichern.
Und dadurch wird der Man-in-the-loop noch eine Weile Bestand haben und wahrscheinlich ist es auch gut so.
Roland Fiege: Da kommen wir dann auch zu den „Gefahren“ oder „Fragen“, die mit aufkommen… Wenn ich sage, ich möchte einen Text im Bereich Mobilität und Nachhaltigkeit haben, wie wahrscheinlich ist das denn, dass der für die eine Marke ganz anders geschrieben wird als für eine andere Marke? Wahrscheinlich eher nicht, wenn sich die Maschinen alle am gleichen Datenstamm bedienen. Da kommt natürlich wieder die Frage auf, wie möchte die Marke denn gefühlt werden da draußen? Und ich glaube, nachdem, was ich bisher gesehen habe, so weit sind wir jetzt noch nicht. Ich glaube, dass es tatsächlich sehr, sehr hilfreich ist bei der Themen-Identifikation, Themenfindung und natürlich auch bei der Skalierbarkeit.
Die Gefahr ist doch, wenn Content letztlich nur noch produziert wird, um Content zu produzieren und sonst gar keinen Sinn mehr hat, außer vielleicht einen Click irgendwie noch zu generieren für irgendwas, dann tut es der Marke am Ende doch auch nicht gut!
Mirko Lange: Ein Beispiel hierfür ist ja das Mediensystem heute. Da geht es oft nur noch darum, immer mehr Content zu produzieren, immer mehr Clicks zu produzieren, dann auch immer mehr Clickbait zu produzieren, also Headlines zu produzieren, die zu Clicks führen. Und das geht in einen Bereich, da kann man nicht mehr gewinnen. Da macht sich die Branche aus meiner Sicht komplett kaputt.
Als Kreative müssen wir uns doch auf die Themengestaltung, auf das Erzählen der Story, auf die Kontextualisierung – und jetzt kommt’s – auf die Anreicherung mit Bedeutung konzentrieren. Auf die Frage, die ich vorhin gestellt habe, „Was ist der Inhalt von Content?“, gebe ich heute die Antwort: „Bedeutung“.
Also wir müssen den Menschen erklären, warum ein bestimmtes Thema für sie in der jetzigen Situation eine Bedeutung hat. Also, wenn du keine Bedeutung hast, was bist du dann? Bedeutungslos. Und je mehr Content es gibt, desto mehr besteht die Kunst darin, Bedeutung zuzuweisen. Bedeutung zuweisen geht durch Verbindungen, Vernetzungen, Kontext herzustellen. Erst wenn sozusagen das Drehbuch geschrieben ist, geht es um die Produktion des Textes. Und die übergebe ich ohnehin. Und blöd gesagt, ob ich die jetzt einem Freelancer, Texter oder der KI übergebe, ist eigentlich egal. Da glaube ich auch, dass die KI sogar besser sein kann. Wenn das Briefing gut ist, wenn ich mit dem Briefing die KI richtig spezifisch „füttern“ kann. Aber dazu muss es zuerst einmal ein gutes Briefing geben.
Peter Gentsch: Also von Bedeutung zu sprechen ist ja sehr hochgegriffen. Ich würde gerne erst mal von Relevanz sprechen. Und wenn ich jetzt eine KI nehme, was die zum Beispiel machen kann, die schaut einfach, welcher Content performt momentan gut. Also sehr mechanisch im Sinne von „hohes Google-Ranking“. Dann nimmt sie diese Content-Pieces, mixt die, kuratiert die und kommt mit einem neuen Artikel raus, der die anderen out-performt.
Natürlich ist das ein hochmechanischer Prozess; wenn du so willst, ist es ja Recycling. Es ist ein „Copy and Paste“ von der KI. Aber letztendlich steckt ja implizit schon Menschenwissen drin, denn die Leute, die die Beiträge geschrieben haben, haben sich ja mal Gedanken gemacht! Und böse gesagt klaut doch eine KI auch dieses implizite Gedankengut in den Artikeln und nimmt so eine Art „Best of …“ und sagt „guck mal, ein neuer Artikel!“. Und das ist für mich so eine Sache dieser neuen Generation der KI: Die imitiert ja auch ein Stück weit Kreativität!
Aber wie siehst du das denn? Weil, wenn wir sagen, Relevanz ist das, was bei Google hoch rankt, dann ist das natürlich eine sehr einfache Formel. Und dann kann eine KI sehr wohl auch relevanten Content generieren, weil implizit ja schon das Rational eines Menschen dahintersteckt!
Mirko Lange: Relevanz ist ein superschönes Wort, weil ja immer gesagt wird „Du musst relevanten Content erstellen“. Und du hast jetzt dankenswerterweise den Bezugspunkt für Relevanz definiert, nämlich als das, was in Google hoch rankt.
Ich würde dem jetzt ein bisschen widersprechen – und das sage ich ein bisschen zögerlich – weil die Algorithmen, nach denen Google bewertet, ja heute auch sehr komplex sind; da steckt ja auch wieder sehr viel Betrachtung dahinter. Aber ich glaube, da liegt der Schlüssel drin, ein Wissen darüber, was relevant ist. Und hier schließt sich der Kreis: Meines Erachtens ist Relevanz ja immer was Relatives. Was für dich, Peter, relevant ist, muss für Roland überhaupt nicht relevant sein. Also ist Relevanz was Individuelles und spezifisches, Zielgruppen spezifisches. Und ich definiere heute, weil dieses Wort „Relevant“ für mich so wenig greifbar war, Relevanz als: Welche Bedeutung hat das für mein Leben? Also was kann ich jetzt damit konkret tun? Gibt es mir Orientierung? Gibt es mir einen Gebrauchswert oder einen Praxiswert? Gibt es mir möglicherweise nur Unterhaltung oder gibt es mir Sinn? Also dieses ganze Thema „Purpose driven Marketing“.
Und Google hat ja auch ein anderes Modell, „wozu“ man etwas nutzt, also „wozu brauche ich das?“ Oder „wozu ist das gut“, was etwas anderes ist als „warum“, nebenbei gesagt. Und das wird natürlich eine KI irgendwann auch können. Wenn wir da spezifischer werden, dann glaube ich auch, kann KI eine sehr gute Wirkung erreichen. Aber nur Google Ranking wäre mir zu flach.
Peter Gentsch: Ja gut, dann sagen wir doch einfach „Sichtbarkeit in digitalen Medien“. Das ist ja eine extrem wichtige Währung. Und wenn KI mir hilft, im digitalen Raum eine hohe Sichtbarkeit zu haben, dann mag das teilweise qualitativ nicht hochwertig und Mainstream sein und vielleicht vom Niveau her Optimierungspotenzial haben. Aber Sichtbarkeit ist natürlich eine Währung, die am Ende des Tages wahrscheinlich auf Konvertierung einzahlt, auf Brand-Building einzahlt. Wenn eine KI mir hilft, Sichtbarkeit zu erzielen, dann würde ich schon sagen, dass es vielleicht mehr ist als dieser mechanistische Anspruch „Ich mache keinen Blogbeitrag“.
Mirko Lange: Also absolut richtig. Wir sind gar nicht kontrovers. Was ich nur versuche, den Leuten zu sagen, ist: Geht über die Sichtbarkeit hinaus! Also das war das, was wir ja in der Wirkungsforschung Input, Output, Outcome und Outgrowth nennen: Die Sichtbarkeit ist ja erstmal nur der Output. Der ist natürlich die Voraussetzung dafür, dass überhaupt was wirken kann. Aber mein Ziel oder mein Leitspruch ist da immer „von der Reichweite zu Reichtiefe“. Weil wir schon einen Trend dazu haben, die Reichweite und die Sichtbarkeit zu erhöhen, aber die Reichtiefe wahnsinnig zu reduzieren, also diese berühmten acht Sekunden oder ein Millimeter Tiefe. Und da haben wir eben die Gefahr der Commodity, dass die Leute so sehr an der Oberfläche entlangsurfen, dass überhaupt kein Eindringen mehr stattfindet, das Eindringen auch in den Kopf, dass irgendwie eine Veränderung, eine Einstellungsveränderung stattfindet.
Und das ist ja letztendlich die Frage nach der Strategie. Also ein Fast Moving Consumer Goods-Hersteller hat natürlich eine ganz andere Zielsetzung als irgendein B2B-Hersteller, der von der von seiner Kompetenz lebt. Weil wenn meine Profilierung auf Kompetenz beruht, dann ist Reichweite und Oberflächlichkeit natürlich nicht sonderlich hilfreich.
Teil 3: Von digitalem Content zu synthetischem Content – was ist die Zukunft des Contents?
Roland Fiege: Wir reden ja hier über einen Themenbereich, der vor zwölf Monaten, vor 18 Monaten noch in den Kinderschuhen steckte. Und alleine was sich im letzten Jahr alles bewegt hat in der Richtung, das ist ja unglaublich.
An euch beide mal getrennt die Frage gestellt, was glaubt ihr denn, wenn wir in einem Jahr oder in zwei Jahren zusammensitzen, was werden wir dann erleben? Im Kontext Content, KI und ja, Skalierbarkeit, haben wir da überhaupt noch eine Chance, wieder mehr in die Tiefe zu gehen? Oder werden alle Themen nur noch an der Oberfläche gesurft und auf der Überschriftsebene abgehandelt?
Peter Gentsch: Ich kann ja gerne mal anfangen. Einmal haben wir jetzt sehr stark von Text gesprochen, was wir in der KI-Entwicklung sehen. Da muss man aber auch sagen, dass natürlich zunehmend auch Bilder und Bewegtbild generiert werden. Und das ist schon wahnsinnig beeindruckend, dass hätte vor zwei, drei Jahren sich keiner denken können, dass ich mal einfach einen Prompt eingebe „Teddybär malt ein Porträt“ und auf einmal kriege ich ein Video. Das ist Irrsinn. Ich glaube, dass das Ganze multimodal sein wird, dass Content dann eben nicht nur aus Text besteht, sondern dass ich verschiedene Sachen nehmen kann.
Die Modelle, die so genannten Foundation-Modelle, entwickeln sich exponentiell! GPT-2 von Elon Musk, das war ja noch vor kurzem ein Riesenmodell. Inzwischen ist das Kindergarten. Das heißt, wir werden eine ganz brutale Entwicklung erleben. Und diese Algorithmen greifen ja praktisch auf digitales Wissen zu, was im Internet verfügbar ist. Wir wissen ja alle, im Internet of Everything wird immer mehr digitalisiert; das heißt, die Datenmenge für die Algorithmen steigt, die Performance dieser Algorithmen steigt.
Darum glaube ich, dass die Qualität immer besser wird und auch die Möglichkeiten, unterschiedliche Formate zu erstellen. Das ändert aber nichts an der Grundmechanik, dass diese Systeme am Ende des Tages Nullen und Einsen crunchen. Ich sage, die Illusion der Kreativität wird immer größer. Die Illusion, das ist ja wie von einem Menschen geschaffen, die wird immer größer. Die Grundmechanik ändert sich nicht.
Und ich glaube, was noch spannend wird ist natürlich die Bewertungsthematik. Denn diese Algorithmen machen ja nichts anderes, als im Internet Sachen zu recyceln, zu reproduzieren.
Ein ganz einfaches Beispiel: Wenn ihr heute bei Google eingebt „Frauen können nicht“ kommt in der Regel als Vorschlag vom auto-complete „nicht Auto fahren“, „nicht einparken“. Das heißt, die Algorithmen repräsentieren ja eine Meinung, die eine große Mehrheit im Internet hat. Also ist die Frage, wer bewertet denn das eigentlich? Es gibt zig Studien, die sagen, Frauen können besser einparken als Männer! Aber anscheinend ist der Buzz im Internet eher anderer Meinung. Und diese Algorithmen lernen, sage ich mal, Mainstream. Und daher sehe ich diese Bewertungskomponente als wahnsinnig schwierig an, da wir zunehmend Content generieren, der ein allgemeines Meinungsbild reflektiert und eben nicht die Möglichkeit gibt einzudringen, wie Mirko das sagt, sich zu positionieren. Also werden wir da, glaube ich, ein bisschen weichgespült.
Ich würde sagen, dass es jetzt nicht nur darum geht, einen Blogbeitrag zu schreiben mit KI. Ich glaube, wir sind schon in der Phase, wo wir von digitalem Content zunehmend zu synthetischem Content kommen. Und ich weiß nicht, ob ich in einer Welt leben will, wo wir nur noch synthetischen Content haben. Aber wir sind auf dem besten Weg dahin, weil es so wahnsinnig effizient ist. Eine KI arbeitet 365/24, hat keinen Betriebsrat, wird nie krank. Und darum ist meine Prognose da gar nicht so positiv, weil ich glaube, der Effizienz-Gedanke, wird uns in diese synthetische Content Bubble treiben. Ich halte das nicht für unbedingt gut, was insbesondere die Qualität von Content angeht. Aber nochmal: Im wöchentlichen Innovationstakt kommen da neue Algorithmen. Das ist gigantisch.
Mirko Lange: Ich finde das sensationell, was du gerade gesagt hast. Also der Begriff synthetischer Content, den finde ich sehr, sehr gut.
Roland Fiege: Den müsste man eigentlich mal klauen.
Mirko Lange: Der ist schon vereinnahmt: Copyright Peter Gentsch. Auch mit der Imitierung. Wir sehen im Moment auch, dass wir immer mehr Wettbewerber haben. Die kopieren uns nicht mehr; sondern tun so, als ob – indem sie das von außen Sichtbare erst einmal nachmachen.
Ich meine: Kinder lernen durch Imitieren, das ist ja auch in Ordnung, das ist ihr erster Schritt. Aber dieses tiefe Verständnis dahinter, was nicht da ist: Darüber können wir glaube ich noch fünf Podcasts machen. Auch was das für gesellschaftliche Auswirkungen und Hintergründe hat. Dass Menschen vielleicht auch von der Komplexität erschlagen sind und deswegen nicht tiefer in die Materie eindringen wollen.
Was du gerade gesagt hast, Peter: Genau darum geht’s. Ich traue es mich kaum, es zu sagen, weil das so breit und sehr kontrovers diskutiert wurde. Ich nenne jetzt mal Precht/Welzer, deren Buch sicherlich Schwächen hat. Aber genau das ist die Kernaussage: Die haben gesagt, sie einigen sich auf ein Narrativ. Aber was du gerade beschrieben hast, das ist es ja genau: Dass sich die Medien auf ein Narrativ einigen, weil sie auch immer mehr Algorithmus getrieben berichten und davon berichten, was die Leute hören wollen.
Das haben sie unklug bezeichnet, weil „Gleichschaltung“ ja keiner hören will, da der Begriff mit faschistischen Staaten negativ besetzt ist. Aber dass das aufgrund der Digitalisierung, Synthetisierung und Algorithmen notwendigerweise passieren muss, das wollen viele Leute auch nicht wahrhaben. Und Peter, da bin ich komplett bei dir und vielleicht auch ein bisschen old fashioned: Strategisch müssen wir viel mehr arbeiten, wir müssen Daten nutzen. Die Art und Weise, wie Leute heute Daten verwenden, ist eigentlich ein blinder Fleck. Meine These ist, dass wir erst ein My davon überhaupt verstehen.
Also datengetriebene Kommunikation ist ein Fachwort, das im Moment die Branche elektrisiert. Aber wenn ich Daten habe und nicht verstehe, was die Daten wirklich aussagen – oder unvollständige Daten habe, dann ist das der größte Blödsinn, den ich überhaupt machen kann. Oder es führt zu großem Blödsinn.
Peter Gentsch: Die Schwierigkeit der Diskussion zeigt doch so schön, was Google neulich gesagt hat: Sie verbieten KI-basierten Content. Sie werden den rausfiltern. Roland, Du kennst ja glaube ich auch eine Seite, die untersucht, ob Content von Menschenhand geschaffen wurde oder nicht. Das Problem ist nur: Ich erkenne es halt nicht. Und je lauter Google das rausposaunt, um so klarer wird, dass sie es eben nicht können. Und das zeigt, finde ich, auch ein bisschen die Hilflosigkeit.
Mirko Lange: Auch wenn die Imitation so perfekt wird, bleibt es eine Imitation. Das muss soziologisch untersucht werden. Auch die Varianz geht zurück. Das sehe ich als großes Problem. Wenn wir Vielfalt betrachten, da haben wir ja jetzt so viel Parallelitäten, z.B. in der Geschlechterdiskussion, aber manche Leute sagen, es gibt nur zwei Geschlechter. Evolutionsforscher sagen „Evolution und Leben besteht aus Vielfältigkeit!“. Wenn die KI irgendwann lernt, Vielfältigkeit herzustellen und bewusst Fehler herzugeben, also auch Fehlerhaftigkeit zu imitieren, dann bin ich mal gespannt, wo das hinführt.
Peter Gentsch: Ich hatte neulich einen Vortrag vor Kreativen und da war auch die Frage „Imitation, was ist das eigentlich?“ Da sagte einer dieses schöne Zitat: „Good artists copy, great artists steal.“ So nach dem Motto „Na ja, das ist doch gängige Praxis. Und jeder Journalist macht doch auch nichts anderes, als im Internet Content zu recyceln“. Die waren da teilweise ganz entspannt. Aber nochmal: Die Gefahr ist, wenn ich als Konsument etwas nicht als Imitation erkenne – dann haben wir natürlich ein Problem.
Roland Fiege: Zu dem Thema kann ich „Data and Society“ empfehlen, also die Webseite datasociety.net. Die beschäftigen sich mit Studien über die sozialwissenschaftlichen oder sozialen Implikationen von datenzentrischen Technologien und automatisierter Kommunikation. Da gibt es schon sehr, sehr interessante erste Studien rund um das Thema. Unter anderem dort habe ich auch in einem Beitrag die Webseite haveibeentrained.com gefunden, wo man angeblich sehen kann, ob seine Inhalte geschriebener Art oder auch Bilder schon mal benutzt wurden, um KI-Algorithmen anzutrainieren und zu perfektionieren.
Und da kommen wir natürlich auch zu den Themen „Urheberrecht“ oder „Recht am eigenen Werk“. Wo das dann in der Zukunft liegt, wenn alles geremixt wird, ist ja sowieso schon immer ein Internetthema. Aber wen verklagen wir denn dann, wenn ein Algorithmus Inhalte weiterverwendet und was Neues draus baut? Früher in der Musik gab es da große Skandale zum Thema Sampling und auch langwierige Prozesse. Ich denke, das ist damit auch erledigt. Es wird letztlich kaum mehr möglich sein, zu unterscheiden zwischen synthetischem Content – Peter, ich liebe den Begriff – und originär geschriebenem Content. Was aber – und das ist eigentlich dem Freizeitverhalten von Menschen momentan sehr, sehr ähnlich – den Purpose, den eigentlichen Sinn und Zweck und die Anreicherung von Bedeutung angeht, glaube ich, das sollte in erster Linie der Mensch noch hinbekommen und auch entscheiden. Denn nur dann schaffen wir auch einen Unterschied. Sonst haben wir wirklich weichgespülten und glatt gebügelten Content, der nur noch aus dem Springen von einer Überschrift zur nächsten besteht.
Kleine Anekdote: Wir sind ja auch ein rein technologiegetriebenes Unternehmen mit jede Menge Data Scientists, Programmierern. Alle arbeiten den ganzen Tag remote am Rechner. Und dann haben wir im letzten Social Call gefragt „Ja, was macht ihr denn? Was war der schönste Moment in den letzten Wochen oder im Urlaub? Oder was macht ihr am nächsten Feiertag? Wochenende?“ Und da war keiner dabei, der sich gesagt hat „Da setze ich mir eine VR-Brille auf und geh nach Decentraland und bleibe im Netz.“ Sondern alle sagen „Ich gehe wandern“, „Ich gehe etwas basteln mit meinen Kindern“ oder irgendwas. Aber nichts am Rechner. Und ich glaube, da liegt am Ende auch so ein bisschen Wahrheit, dass wir die Technologie natürlich nutzen, und zwar alles, was geht. Alles, was gebaut werden kann, wird gebaut und wird auch genutzt werden.
Aber wir haben am Ende auch den Purpose und den spüren wir in uns. Und das ist schon Herausforderung genug, das immer mit Organisationen und kommerziellen Organisationen zu verknüpfen. Ich glaube, da liegt unsere Stärke und die wird uns so schnell die KI auch nicht abnehmen können.
Peter Gentsch: Wobei, in der Diskussion mit den Kreativen fand ich ganz spannend, dass die gesagt haben „Naja, irgendwo ist das ist ja auch eine Demokratisierung der Kreativität“. Mirko, wir haben uns ja im Bereich Social Media kennengelernt und da haben wir auch eine Demokratisierung der Medien. Jeder darf senden und empfangen. Und jetzt kann ich eigentlich sagen: „Jeder kann tolle Bilder“. Ich bin ja künstlerisch ein völliger Chaot, aber auf einmal kann ich irgendwas prompten und kriege ein tolles Bild oder ein tolles Video.
Da könnte man jetzt sagen: Dann werden wir alle zu kreativen Leuten und zu Innovatoren. Das mögen wahrscheinlich jetzt einige nicht hören. Aber ich fand den Gedanken auch mal ganz gut, wenn wir so negativ über KI reden. Da könntest du auch sagen: „Hey Leute, jeder wird jetzt zum Künstler. Eine Demokratisierung der Kreativität.“ Ich weiß, Mirko, du wirst jetzt wahrscheinlich da vehement widersprechen, aber ich fand den Gedanken ganz interessant.
Mirko Lange: Nein, nein, ich will überhaupt nicht widersprechen. Sondern wie gesagt, mich interessieren jetzt die soziologischen Folgen, weil dadurch wird auch Kreativität zur Commodity. Aber Kreativität ist ja deswegen nur ein Gut, wie auch Sex. Wenn es Commodity ist und jederzeit verfügbar ist, wird es langweilig. Also ich mache ja immer den blöden Witz, wenn mich die Leute fragen, weil ich leidenschaftlicher Golfspieler bin: „Hast du noch Sex oder spielst du schon Golf?“ Und dann sage ich auch „Naja, Sex kann ich jederzeit haben, aber einen geilen Drive nicht.“ Die Verfügbarkeit von Waren und die unbegrenzte Verfügbarkeit, was ja die Definition von Commodity ist, die senkt den Wert.
Roland Fiege: Ja, total.
Mirko Lange: Nur durch Verknappung haben wir Werte. Das sind ganz fundamentale Regeln des Lebens. Also ist es überhaupt erstrebenswert, Kreativität zu demokratisieren? Was haben wir davon? Nichts! Die Bedeutung von Kreativität wird irgendwann verschwinden!
Peter Gentsch: Da bin ich völlig bei dir. Zumindest habe ich kleine Glücksmomente gehabt, als ich hier irgendwelche Videos produziert habe.
Mirko Lange: Absolut! Kurzfristig ja! Das ist es: Wir haben unser Belohnungssystem, das feuert. Es wird Dopamin ausgeschüttet und so weiter. Wir sind ja wie Drogensüchtige, auch in Social Media – es geht ja immer nur um den kleinen Dopaminkick, nach dem wir alle süchtig sind. Aber bei jeder Sucht muss die Dosis immer größer werden und die Grenzen des Wachstums und so weiter… das finde ich ein spannendes Thema. Wo soll das hinführen?
„HI“ finde ich eigentlich immer noch am schönsten von allem. Und diesen Trend, also „Human Intelligence“, diesen Trend finde ich am schlimmsten, dass Denken den Menschen immer schwerer fällt.
Roland Fiege: Das ist richtig. Aber ich glaube, darüber machen wir dann den nächsten Podcast.
Mirco Lange: Ich glaube aber, das macht Menschsein aus.
Roland Fiege: Ja natürlich!
Mirco Lange: Was habe ich davon? Wenn Menschen nur noch Fastfood essen und die KI für sich denken lassen? Dann habe ich zwar irgendwie die Dopaminausschüttung optimiert, aber es führt nicht zum Glück, definitiv nicht!
Roland Fiege: Dann habe ich einen Vorschlag zur Güte zum Abschluss. Also synthetischer Content, der von synthetischen Konsumenten konsumiert wird und wahrgenommen wird, die dann synthetisch was konsumieren und …
Mirco Lange: Und ein synthetisches Glücksgefühl erhalten.
Roland Fiege: Nein… und wir gehen dann Golfspielen… Und haben dann letztlich da unseren Purpose und sagen okay, den Rest machen die Maschinen. Und dann stellen wir aber fest: „Es ist tatsächlich super interessant, was da gerade passiert“.
Peter, vielen Dank auch für deine Einschätzung. Ich bin super gespannt, was da in den nächsten Monaten alles noch für Quantensprünge gemacht werden. Wir werden das beobachten, wir werden das natürlich auch im Rahmen dieses Podcasts hier immer wieder auch mal kommunizieren und teilen.
Und vielen, vielen Dank Mirco für deine Expertise, deine Einschätzungen, auch die philosophischen, die ja wichtig sind. Und ich denke, wir hören uns wieder, wir sehen uns wieder. Vielen, vielen Dank euch beiden.